Geschmack: Können wir unsere Wahrnehmung beeinflussen? - LYKON
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Geschmack: Können wir unsere Wahrnehmung beeinflussen?

February 27, 2024 • Nikolas Eleftheriou

Was wäre das Essen, wenn wir es nicht schmecken könnten? Für jeden, der sich diese Frage schonmal gestellt hat, wäre die Antwort wohl eindeutig. Dabei geht die Wahrnehmung des Essens über den Geschmack hinaus. Dieses Phänomen hat wohl jeder schonmal erlebt, der aufgrund einer Erkältung eine verstopfte Nase hatte. Zu dieser Zeit schmeckt das Essen langweilig und fad und auch der Appetit fehlt.

Der Geschmackssinn analysiert nämlich "nur" die Qualität des Essens im Mund, wobei vor allem die Grundgeschmacksqualitäten gemeint sind. Doch der eigentliche Geschmackseindruck ("Flavor") einer Mahlzeit oder eines bestimmten Lebensmittels verbindet sowohl den Geschmacks- und Geruchssinn, als auch das jeweilige Mundgefühl. Diese Kombination an Sinneseindrücken wird darüber hinaus in einen Kontext aus Erfahrungen eingebettet, der individuell verschieden sein kann.

Doch wie lassen sich die individuell verschiedenen Geschmackswarhnehmungen erklären? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten und muss Bereiche der Physiologie, Psychologie und Genetik berücksichtigen. Wir gehen dieser Frage auf den Grund und sagen Dir, warum man so schmeckt, wie man schmeckt und ob man seine Geschmackswahrnehmung beeinflussen kann!

 

Was ist Geschmack?

Unsere Geschmacksvorlieben und -abneigungen bestimmen unter anderem was wir essen und trinken. Somit nimmt das Schmecken auch großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Trotzdem ist der Geschmack und die Geschmackswahrnemung wissenschaftlich noch recht wenig erforscht.

Evolutionär gesehen, stellt der Geschmackssinn eine Warnung bei Gefahr dar. Die Gefahr in diesem Kontext bezieht sich auf eventuelle Vergiftungen durch toxische oder verdorbene Lebensmittel. Des Weiteren trägt der Geschmack natürlich auch dazu bei über den Energiegehalt der Nahrung zu informieren. Beide Informationen werden von unserem Gehirn verarbeitet. Dabei muss das Gehirn ständig abwägen, ob die verzehrte Nahrung eher Nährwert bringt oder Probleme bereiten könnte. Das ist vielleicht heutzutage nicht mehr so wichtig, da ein Überangebot an Essen vorhanden ist. Damals war diese Abwägung aber entscheidend, da sonst eventuell zu wenig Nahrung und Nährstoffe aufgenommen wurden. Überwog also der Nährwert eines Lebensmittels, erfolgte die Entscheidung zur Nahrungsaufnahme.

Wie bereits in der Einleitung genannt, geht die Geschmackswahrnehmung allerdings über den eigentlichen Geschmack hinaus. Dabei ist die Geschmackswahrnehmung sowohl auf das Geschmacks- und Geruchssystem, als auch auf das Trigeminale System angewiesen. Diese Systeme sind eng miteinander verknüpft und leiten die Informationen über verschiedene Hirnnerve weiter, bis sie verarbeitet und zusammengeführt werden und so den Geschmackseindruck ("Flavor") prägen.

Der eigentliche Geschmack teilt sich dabei in die 5 Grundgeschmacksarten auf: Süß, Sauer, Salzig, Bitter und Umami. Dennoch wird diskutiert, ob es nicht vielleicht noch weitere Geschmacksarten gibt, wie zum Beispiel für wässrige und fettige Geschmäcker.

 

Die 5 Grundgeschmacksarten

Für jede der 5 Grundgeschmacksarten existieren eigenständige orale Sinneszellen, die bestimmte Rezeptormoleküle aufweisen, um die jeweiligen Geschmacksstoffe zu identifizieren.

Den Anfang nimmt das Schmecken in den sogenannten Geschmacksknospen. Diese sind mikroskopisch kleine, zwiebelförmige Gebilde, die in der Mundschleimhaut eingelagert sind. In diesen Gebilden lagern ungefähr 50-150 lang gestreckte Geschmackssinneszellen zusammen, die über eine Pore mit den im Speichel gelösten Geschmacksstoffen in Kontakt kommen.

Diese Geschmacksknopsen befinden sich hauptsächlich auf der Zunge, aber auch am Gaumen, Kehldeckel, Rachen und Schlund. Auf der Zunge sind diese vor allem in den Geschmackspapillen zu finden, die man teilweise sogar mit bloßem Auge sehen kann.

Die ursprüngliche "Landkarte" der Zunge, anhand derer die einzelnen Geschmacksarten auf verschiedene Bereiche der Zunge begrenzt waren, ist übrigens falsch! Früher wurde demnach gesagt, dass man Süßes nur an der Zungenspitze schmeckt, während man bittere Geschmäcker zum Beispiel nur weiter hinten auf der Zunge wahrnimmt. Allerdings sind die Geschmackspapillen mit den Geschmacksknospen überall auf der Zunge vorhanden. Demnach schmeckt man alle Geschmacksarten auf der ganzen Zunge verteilt. Dennoch stimmt es, dass zum Beispiel bitter eher am hinteren Zungengrund wahrgenommen wird, während süß dominanter an der Zungenspitze ist.

 

Süß

Der Süßgeschmack gilt als attraktiver Geschmackssinn, der bereits angeboren ist. Die primäre Funktion dieses Rezeptors dient dabei der "Kalorien-Detektion" und ist maßgeschneidert für die Erkennung von Bausteinen der Kohlenhydrate. Um den Süßgeschmack wahrzunehmen, ist die Rezeptorfamilie der sogenannten TAS1R (taste receptor, type 1) verantwortlich. Diese erkennen sowohl Einfach- und Zweifachzucker, als auch pflanzliche Süßproteine, künstliche und natürliche Süßstoffe. Zu dieser Rezeptorfamilie zählen nur drei Mitglieder.

Die Grundgeschmacksart Süß ist zudem ein starker Regulater der Dopaminfreisetzung und führt zur Aktivierung der Belohnungszentren im Gehirn. Demnach trägt nicht nur die "Kalorien-Detektion" zur Attraktivität dieser Geschmacksart bei, sondern auch das Gefühl der Belohnung nach Verzehr einer kohlenhydrat- bzw. zuckerreichen Nahrung.

Wusstest Du, dass es in der Natur häufig zum Prinzip "use-it-or-lose-it" (adaptive Evolution) kommt. So besitzen Katzen zum Beispiel keine Süßrezeptoren, weil sie hauptsächlich Fleischfresser sind. Pandas wiederum weisen keinen Umamirezeptor auf, da sie ausschließlich pflanzliche Nahrung verzehren.

 

Umami

Wie auch der Süßgeschmack dient der Umamigeschmack als "Kalorien-Detektor". Dabei gehören die Umamirezeptoren interessanterweise zu der gleichen Rezeptorfamilie wie die Süßrezeptoren, den TAS1R. Allerdings erkennen diese keine Kohlenhydrate, sondern Bausteine der Proteine. Bei diesem Baustein handelt es sich um die Aminosäure L-Glutaminsäure. Im Grunde genommen detektiert dieser Rezeptor somit den Geschmack von Natrium-Glutamat, der vorwiegend in Fleisch vorkommt. Dieser Stoff wird aber auch häufig in der Lebensmittelindustrie als Geschmacksverstärker eingesetzt, um Speisen attraktiver zu gestalten.

 

Bitter

Anders als beim Süßgeschmack wird der Bittergeschmack eher mit Abneigung in Verbindung gebracht. Diese Aversion ist ebenfalls angeboren, da sie vor giftigen Substanzen warnen soll. Mit zunehmenden Alter lernen wir allerdings einige Bitterstoffe zu tolerieren und sogar zu mögen (z.B. Dunkle Schokolade, Kaffee, bestimmte Gemüsesorten). Somit erklärt sich auch, dass Bitterrezeptoren anders als die Rezeptoren für Süß und Umami eine große Bandbreite an Bitterstoffen wahrnehmen sollen, um potentiell gesundheitsschädliche und giftige Bestandteile zu detektieren. Die Bitterrezeptoren gehören zu der Rezeptorfamilie der TAS2R (taste receptor, type 2) und erkennen die unterschiedlichsten Bitterstoffe aus verschiedensten chemischen Stoffklassen. Der Mensch besitzt 25 dieser Rezeptoren. Einige andere Tiere über- (z.B. Mäuse) bzw. unterschreiten (z.B Pferde) diese Zahl hingegen.

Doch wie können so "wenige" Rezeptoren auf mehrere hunderte verschiedenste Bitterstoffe reagieren? Viele dieser 25 Rezeptoren können nicht nur eine bestimmte Klasse an Bitterstoffen detektieren, sondern erkennen weite Spektren dieser ("Generalisten"). Allerdings gibt es auch einige Ausnahmen, wobei einige Rezeptoren nur eine spezielle Substanz(-klasse) detektieren können. Besonders bei diesen Rezeptoren ("Spezialisten") sind Genvarianten bzw. Mutationen besonders ausgeprägt und führen zu einer gesteigerten oder verminderten Wahrnehmung von gewissen Bitterstoffen.

Die bekanntesten Genvarianten (Single Nucleotide Polymorphisms oder SNPs) befinden sich im TAS2R38-Gen. Über diese und weitere Genvarianten lassen sich unter anderem die Wahrnehmungsunterschiede in der Bevölkerung erklären. Doch dazu später mehr.

 

Sauer

Auch der saure Geschmack dient dem Körper primär als Warnsignal. So kann dieser zum Beispiel bei unreifem Obst auftreten (schwer verdaulich) oder ein Hinweis auf verdorbene Lebensmittel sein (bakterielle Kontamination). In hohen Konzentrationen wird der saure Geschmack demnach eher abgelehnt. Dennoch gilt auch hier, dass viele Lebensmittel, wie zum Beispiel Kaffee, Wein und verschiedene Obstsorten sauer sind und diese Geschmacksart in geringen Konzentrationen als attraktiv wahrgenommen wird.

Der Sauergeschmack wird logischerweise durch Säuren hervorgerufen. Wie die Reizweiterleitung letztendlich zustande kommt, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, da mehrere mögliche Signalwege diskutiert werden. Zumindest zwei Varianten sind denkbar, wobei eine möglicherweise über einen noch nicht identifizierten Rezeptor und die andere über einen Protonenkanal vermittelt wird.

 

Salzig

Der Salzgeschmack gibt wiederum Auskunft über den Elektrolyt-Gehalt bestimmter Lebensmittel. Demnach ist diese Grundgeschmacksart eng mit der Regulation des Wasser- und Salzhaushalt des Körpers verbunden. Hauptsächlich wird dieser Geschmack über Kochsalz (also Natriumchlorid, NaCl) ausgelöst, aber auch andere Natriumsalze schmecken "salzig". Der Geschmack von anderen Mineralsalzen weicht deutlich von diesem ab.

Über die Übertragung des Salzgeschmacks ist verhältnismäßig wenig bekannt. Es wird jedoch vermutet, dass dieser ebenfalls über einen Ionenkanal vermittelt wird. Ob das der Fall ist und welcher das ist muss allerdings noch abschließend geklärt werden.

 

Weitere Geschmacksarten

Da momentan immer noch verhältnismäßig wenig über den Geschmack an sich (bzw. einzelne Geschmäcker) und die Reizweiterleitung bekannt ist, ist es denkbar, dass es weitere Geschmacksarten geben könnte. So wird zum Beispiel diskutiert, ob es bestimmte Rezeptoren und Signalwege für wässrige und fettige Geschmäcker gibt.

Wusstest Du schon, dass Geschmacksrezeptoren (z.B. Bitterrezeptoren) auch in anderen Organen des Körpers zu finden sind? So gibt es diese unter anderem in der Lunge und im Magen-Darm-Trakt (extraorale Geschmacksrezeptoren). Allerdings dienen diese nicht dem "Schmecken", sondern sind zum Beispiel als Indikation und Einleitung von Schutzmechanismen gegenüber bakteriellen Infektionen zu verstehen.

 

Wie kommt es zur unterschiedlichen Geschmackwahrnehmung?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, sollte zunächst abgeklärt werden, was die Essensaufnahme für uns bedeutet. Denn die Nahrung dient uns zunächst erstmal als Energielieferant. Dabei kommt es zu einer zweifachen Kontrolle des Essens, die als homöostatische und hedonische Kontrolle bezeichnet werden. Die Erste (homöostatische Kontrolle) wird zum Beispiel über Nährstoffe des Essens, Hormone und andere Botenstoffe im Körper geleitet. Diese sollen dazu beitragen, dass alle körperlichen Funktionen aufrechterhalten werden und sich im Gleichgewicht befinden. Die Zweite (hedonische Kontrolle) wird über den Geschmack, das Aussehen und den Geruch des Essens bestimmt. Vor allem Letztere beeinflusst grundlegend die Attraktivität des Essens und die Freude beim Verzehren einer leckeren Mahlzeit.

Beide Kontrollen wirken sich stark auf das Essverhalten aus und beeinflussen so das Gewicht und letztendlich auch die Gesundheit. Aber nicht nur die Kontrolle des Essens wirkt sich auf das Essverhalten aus, sondern auch die Geschmackswahrnehmung, die sich von Mensch zu Mensch unterscheiden kann. Dabei wird diese sowohl über die verschiedenen Erbanlagen als auch über individuelle Umwelteinflüsse bestimmt.

 

Genetische Variabilität

Vor allem die Geschmacksrezeptorgene für den Bittergeschmack weisen eine Vielzahl an genetischen Variationen auf. Einige führen zwar nur zu einer schwachen Beeinträchtigung der Bitterwahrnehmung, andere sind allerdings mit einem kompletten Funktionsverlust assoziiert.

Wie bereits zuvor kurz erwähnt, befindet sich die bekanntesten Genvarianten (SNP) im Bitterrezeptor TAS2R38. Hierbei unterscheidet man sogenannte "Schmecker" und "Nichtschmecker". Erstere sind bei uns in Westeuropa zu ungefähr 70% vertreten, während Letztere ungefähr 30% der Bevölkerung ausmachen. Der TAS2R38-Rezeptor reagiert auf eine bestimmte chemische Substanzklasse (Thioharnstoffe), zu der sowohl synthetische als auch ähnliche natürliche Verbindungen gehören. Beispiele dafür sind die Senfölglykoside, die in Kohlgemüse vorkommen (z.B. Goitrin) oder Sinigrin, ein Bitterstoff aus Blumenkohl. Auf Menschen, die die "Schmecker"-Variante in sich tragen, werden diese Gemüsesorten als bitterer beschrieben.

Da vor allem der bittere Geschmack einen großen Einfluss auf die Ausprägung von Lebensmittelvorlieben und -abneigungen hat, sind diese genetischen Variationen logischerweise auch für unser Ernährungsverhalten relevant. Wenn auch nicht unbedingt zum Vorteil, da dadurch möglicherweise weniger dieser Gemüsesorten verzehrt werden.  In anderen Fällen bedeutete eine größere Empfindlichkeit gegenüber Bittersubstanzen allerdings auch einen evolutionären Vorteil. Handelte es sich bei den Bittersubstanzen zum Beispiel um giftige Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln, waren demnach die Menschen im Vorteil, die diese besser identifizieren konnten. Diese Genvarianten vermehrten sich demnach auch "schnell" in der Bevölkerung, da sie mit einer gesünderen Ernährung einhergingen.

 

Umwelteinflüsse

Das Schmecken bzw. der Geschmackseindruck ist eine vielfältige Empfindung (Mundgefühl). So unterscheiden wir mithilfe unseres Trigeminalnervs die Beschaffenheit, Textur und Temperatur, aber auch chemische Reize, die mit dem Verzehr von Lebensmitteln einhergehen. Somit sind die Wahrnehmung der Schärfe von Chili und der Frische von Pfefferminz auf diesen trigeminalen Reiz zurückzuführen.

Wusstest Du, dass das Capsaicin aus Chili und das Menthol in Pfefferminz eigentlich einen Hitze- bzw. Kältereiz auslöst? Demnach ist die englische Bezeichnung für "scharfe" Chilis (engl. hot) eigentlich zutreffender. Zudem kann man sich an diese "Schärfe" gewöhnen.

 

Anscheinend kann man sich auch an den scharfen Geschmack von Chilis gewöhnen, was unter anderem ebenfalls von den Genen abhängig sein könnte. Weitere Möglichkeiten stellen natürlich auch das Umfeld dar, also zum Beispiel die Region, in der wir geboren wurden und wie weit verbreitet das scharfe Essen dort und im familiären Kontext ist.

Allgemein ist es schwierig die Fülle an äußeren Einflüssen auf die Geschmackswahrnehmung zu erfassen, da der Geschmack objektiv schwer zu bewerten ist. Individuelle Veränderungen oder Einschränkungen werden von den Betroffenen wahrscheinlich selbst kaum wahrgenommen, da sie zum Beispiel durch den Zusatz höherer Geschmackskonzentrationen ausgeglichen werden können. Dennoch gibt es krankhafte Veränderungen der Geschmacksleistung, die von verringerter/übersteigerter Wahrnehmung bis hin zum Verlust einer bestimmten Geschmackswahrnehmung oder Geschmacksstörung reichen.

Ein Faktor, der die Geschmackswahrnehmung reduzieren kann, ist das Rauchen. Allerdings kommt es hierbei eher zu einer Beeinträchtigung des Geruchssinn ausgelöst durch den Tabakrauch und der damit verbundenen Aromawahrnehmung. Eine weitere Umweltursache stellt die Belastung mit Schwermetallen dar, dabei haben verschiedene Metalle aber auch unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschmacksempfindung. Auch einige Medikamente können Geschmacksbeeinträchtigungen hervorrufen. In der Regel treten diese Veränderungen allerdings nur kurzzeitig und vorübergehend auf, dennoch gibt es einige Ausnahmen.

 

Innere Einflüsse

Die Veränderung von Geschmacksempfindungen kann allerdings auch dynamischen Schwankungen in einem Individuum unterliegen. Dabei handelt es sich allerdings eher um innere Mechanismen (z.B. über Hormone). So treten vor allem Änderungen der Ernährungsgewohnheiten und -vorlieben bei der Schwangerschaft auf. Diese Veränderungen dienen womöglich dem Schutz des Embryos, um dessen Entwicklung nicht zu gefährden.

Dabei ist in der Anfangsphase der Schwangerschaft eher die Schutzfunktion des Geschmacks stärker ausgeprägt (z.B. stärkere Wahrnehmung von bitteren Geschmäckern), während in späteren Phasen die Erhöhung der Nährstoffzufuhr gewährleistet werden soll, um den Embryo bestens zu versorgen.

 

Die Ausbildung des Geschmacks

Es gibt ein sowohl angeborenes als auch erlerntes Geschmacksverhalten. Angeboren ist zum Beispiel das reflexartige Schlucken bei süßen Geschmäckern und das reflexartige Spucken bei bitteren Speisen. Das erlernte Geschmacksverhalten wird allerdings über den gesamten Geschmackseindruck vermittelt und basiert auf Geschmack, Geruch und den trigeminalen Reizen.

Interessanterweise können Geschmackspräferenzen und -abneigungen bereits im Mutterleib gebildet werden und entwickeln sich nicht erst nach der Geburt. Dabei beginnt dieser Prozess bereits im 3. Trimester und hängt eng mit den verzehrten Mahlzeiten der Mutter zusammen. Die Mehrzahl der Geschmackspräferenzen und -abneigungen ist allerdings an die eigenen Erfahrungen gekoppelt, einige jedoch auch an die genetischen Unterschiede von Mensch zu Mensch (siehe oben). Somit ist die Entwicklung von Geschmacksvorlieben und -abneigungen bis ans Ende des Lebens möglich und allgemein als dynamischer Prozess zu betrachten.

Es gibt ein sogenanntes Geschmackserkennungsgedächtnis, was das schnelle und sichere Wiedererkennen von Nahrung bei erneutem Kontakt ermöglicht. Diese Aufgabe beruht unter anderem auf der Bewertung der Auswirkungen auf den Körper nach Verzehr der Nahrung (postprandial). Das scheint für uns vielleicht nicht so wichtig zu sein, für unsere Vorfahren, aber auch für die Tierwelt war und ist dieser Punkt allerdings von entscheidener Bedeutung. So beginnt dieser Prozess nach Entwöhnung von der Muttermilch. Anfangs tritt bei Kindern eine sogenannte Neophobie auf. Darunter versteht man eine zunächst ablehnende Haltung gegenüber unbekannter Nahrung, um vor potentiellen Gefahren durch den Verzehr zu schützen. Kommt es nach dem Verzehr zu positiven Erfahrungen baut sich diese Neophobie allmählich ab und es kommt zur Akzeptanz/Präferenz dieses Lebensmittels/"Flavors".

Diese Neophobie bleibt zu einem gewissen Teil das ganze Lebens bestehen, ist sehr individuell (z.B. abhängig vom Familienumfeld) und zeigt unter anderem geschlechtsspezifische Unterschiede. Demnach sind Frauen wohl allgemein weniger betroffen als Männer.

 

Prägung von Nahrungspräferenzen

Um die Akzeptanz von bestimmter Nahrung zu steigern, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die in experimentellen Tierversuchen intensiv untersucht wurden und teilweise auf den Menschen übertragen werden können. So kann man die Neophobie abbauen, indem mach den Nährwert von Lebensmitteln mit dem Geschmack paart ("flavor-nutrient-learning"). Demnach sind Lebensmittel, die besonders zucker-/fettreich und dadurch kalorienreich sind, auch besonders attraktiv. Zudem werden diese Lebensmittel (z.B. Kuchen, Desserts, Eis) meist in angenehmen Situationen verzehrt (z.B. Geburtstage, Urlaub, Freizeit), was zusätzlich die positive Assoziation stärkt.

Eine weitere Möglichkeit stellt die Paarung von bekannten mit unbekannten Lebensmitteln/Geschmäckern dar ("flavor-flavor-learning"). In diesem Zusammenhang werden neue Lebensmittel eher akzeptiert, wenn sie mit bekannten Lebensmitteln oder Geschmäckern in Kombination verzehrt werden. So kommt es zum Beispiel bei einer Person, die gerne Vanillejoghurt isst, zunächst eher zur Akzeptanz von Vanillequark als Erdbeerquark.

Es kann aber auch zu der Ausbildung von Nahrungspräferenzen kommen, indem es zu einem wiederholten Verzehr des jeweiligen Lebensmittels kommt ("mere exposure effect"). Dieser Effekt kann zum Beispiel bei Kaffee auftreten, der häufig erst nach mehrfachem Verzehr als wohlschmeckend empfunden wird.

Kommt es wiederum beim Verzehr von unbekannter Nahrung zu negativen Empfindungen (z.B. Verdauungsproblemen) entwickelt sich aus der anfänglichen Neophobie eine erlernte Abneigung gegen diesen Geschmack. Dieser Effekt tritt auch ein, wenn das jeweilige Lebensmittel nicht der Auslöser dieser Empfindung war, sondern nur zur selben Zeit verzehrt wurde. Es kann sogar sein, dass diese Abneigungen für den Rest des Lebens bestehen bleiben, je nachdem wie negativ die Empfindung dabei war. Kommt es bei bereits bekannten Lebensmitteln zu Problemen bei der Verdauung, kann dieser Ablehnungseffekt jedoch deutlich milder ausfallen als bei unbekannten Lebensmitteln.

 

 

Fazit

Die Grundlagen des Geschmacks und der Geschmackswahrnehmung wurden in jüngster Zeit intensiv erforscht. Allerdings fehlen uns nach wie vor einige Informationen, um die Physiologie des Geschmacks und dessen Signalwege in den großen Zusammenhang der Geschmacksempfindung einzuordnen. Gerade auch das Verständnis über die Reizweiterleitung vom Mund ins Gehirn und die dortige Reizverarbeitung ist von großer Bedeutung, um zu identifizieren, wie der Geschmack die Nahrungsaufnahme beeinflusst.

Des Weiteren wird deutlich, dass die Geschmackswahrnehmung von sowohl genetischer Variabilität, als auch verschiedensten Umwelteinflüssen und intrinsischen Prozessen beeinflusst wird. Weiterhin werden unsere Geschmacksempfindungen immer in einen weiten Kontext aus Erfahrungen (postprandial und sozial) eingeordnet, der dazu beiträgt, dass sich Geschmacksvorlieben und -abneigungen entwickeln.

Menschen, die Erfahrungen mit vielfältigen Lebensmitteln gemacht haben, ernähren sich demnach womöglich auch anders und gesünder, als diejenigen, die nur Erfahrungen mit relativ eintöniger Kost hatten. Dabei tragen sowohl die Mechanismen des Präferenzlernens, als auch das Geschmacksgedächtnis dazu bei, dass es so schwierig ist von einer ungesunden zu einer gesunden Ernährungsweise zu wechseln. Demnach haben vor allem auch die frühen Erfahrungen im Kindesalter einen großen Einfluss auf unser späteres Ernährungsverhalten.

Letztendlich sind erlerntes und angeborenes Verhalten auch nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Hierbei wird das angeborene Verhalten wohl eher durch das erlernte verändert und durch die individuellen Erfahrungen ergänzt. Diese Kombination ermöglicht uns auch die dynamische Anpassung an die Umwelt und die Erweiterung des Nahrungsspektrums.

 

 

Quellen

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Ernährungssozialisation in der frühen Kindheit
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https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2014/07_14/EU07_2014_M386_M392.pdf

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1. Die physiologischen Grundlagen der Geschmackswahrnehmung
Ernährungs Umschau 07/13 von Seite 124 bis 131
https://www.ernaehrungs-umschau.de/print-artikel/05-07-2013-special-geschmack-und-ernaehrung/

Geschmack und Ernährung, Teil 2
2. Auswirkungen der genetischen Veranlagung und von Umwelteinflüssen auf die Geschmackswahrnehmung
Ernährungs Umschau 10/13 von Seite 180 bis 186
https://www.ernaehrungs-umschau.de/print-artikel/08-10-2013-geschmack-und-ernaehrung-teil-2/

Geschmack und Ernährung, Teil 3
3. Ausbildung von Nahrungspräferenzen und -aversionen
Ernährungs Umschau 12/13 von Seite 222 bis 227
https://www.ernaehrungs-umschau.de/print-artikel/13-12-2013-special-geschmack-und-ernaehrung/

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VOLUME 100, ISSUE 6, P607-610, MARCH 17, 2000
https://www.cell.com/fulltext/S0092-8674(00)80697-2